
Eine angemessene psychische Betreuung für Pflegekräfte ist in Zeiten des demographischen Wandels und anhaltender personeller Engpässe wichtiger denn je. Zunehmende Belastungen durch den Pflegeberuf und die Arbeitsumstände im Pflegekontext führen zu Erschöpfung und hohen Krankenzahlen bei Pflegenden.
Dieser Artikel zeigt auf, welche Herausforderungen der berufliche Alltag in der Pflege mit sich bringt, und stellt Hilfsangebote und Möglichkeiten vor, mit denen Arbeitgeber ihre Angestellten unterstützen können.
Was ist psychische Betreuung?
Psychische Betreuung ist ein nicht strikt definierter, allgemeingebräuchlicher Begriff, der häufig die Fürsorge oder Begleitung einer Person bei einer emotionalen Belastung beschreibt. Dabei kann es sich sowohl um das reine Zuhören als auch um eine fachpsychologische Beratung oder eine dauerhafte psychotherapeutische Begleitung handeln.
Psychische Betreuung für Pflegekräfte zielt oftmals auf die Unterstützung Pflegender bei akuten oder durchgemachten beruflichen Belastungen ab, kann jedoch auch präventiv beratenden Charakter haben. Die Betroffenen bzw. Teilnehmenden sollen lernen, die Anforderungen des Alltags zu meistern, Krisen zu überwinden und ihre Gesundheit zu erhalten oder wiederzuerlangen.
Viele Maßnahmen zur psychischen Betreuung für das Pflegepersonal in einer Einrichtung kann der Arbeitgeber umsetzen. Darüber hinaus gibt es sowohl staatlich finanzierte als auch ehrenamtliche Hilfsangebote. Sie gelten sowohl für ausgebildetes Pflegepersonal als auch für Privatpersonen, die Angehörige pflegen.
Psychische Belastungen im Pflegealltag
Der Berufsalltag in der Pflege bringt neben den körperlichen vor allem emotionale Belastungen mit sich, die psychische Betreuung erforderlich machen können.
Die allgemeinen Arbeitsbedingungen für Pflegende sind gekennzeichnet durch eine hohe Arbeitsdichte und viel Verantwortung. Je nach Einsatzbereich unterstützen sie ihre Patienten oder die Bewohner der Einrichtung bei der Körperpflege und der Einnahme von Medikamenten. Sie beugen durch Lagerungsmaßnahmen der Entwicklung von Druckgeschwüren bei immobilen Menschen vor, versorgen Wunden oder begleiten Untersuchungen und operative Eingriffe.
Pflegefachkräfte werden mit einer Vielfalt an Emotionen konfrontiert und stehen den Betroffenen in belastenden Situationen bei. Die Anforderungen des Berufsalltags treffen auf persönliche Lebenserfahrungen und Traumata sowie die erlernten Muster der Pflegenden. Gelingt es dadurch nicht, die notwendige professionelle Distanz zu wahren, so besteht ein hohes Risiko, als Pflegender zum „Second Victim“ zu werden, also selbst Schaden durch kritische Situationen zu nehmen.
Ohne gute und effiziente Hilfsangebote laufen die Betroffenen Gefahr, einen Burnout zu erleiden, in eine kompensatorische Substanzabhängigkeit zu geraten oder gar ihren Beruf aufgeben zu müssen.
Second Victim Konzept
Die Definition des Second Victim (Zweites Opfer) wurde im Jahr 2022 durch eine Expertengruppe gemeinsam mit dem European Researchers’ Network Working on Second Victims (ERNST) aktualisiert.
Demnach können alle an der Versorgung von Kranken oder Verletzten beteiligten Akteure im Gesundheitswesen durch belastende Ereignisse im Berufsalltag ein psychisches Trauma erleiden, was psychosomatische Probleme zur Folge haben kann. Dies schadet nicht nur der betroffenen Person, sondern schränkt unter Umständen auch ihre Fähigkeit zur verlässlichen Ausübung ihrer Arbeit ein.
Schichtdienst
In der Pflege ist eine durchgehende Betreuung und damit ein Einsatz im Schichtdienst unvermeidbar. Die wechselnden Arbeitszeiten und insbesondere häufiger Nachtdienst bedeuten jedoch eine besondere körperliche Belastung.
Wie auch die emotionalen Herausforderungen des Pflegeberufs können häufig wechselnde Schichten zu Schlafstörungen und körperlichen Stress führen. Die Folge ist eine erhöhte Anfälligkeit für Infekte, Herz-Kreislauf- und Stoffwechselerkrankungen sowie eine reduzierte emotionale Kompensationsfähigkeit.
Personalknappheit
Der Mangel an Pflegepersonal stellt angesichts der alternden Bevölkerung eine immer größer werdende Herausforderung dar. Dienstpläne bieten mitunter wenig Spielraum, um Ausfälle zu kompensieren. Dies bedeutet oft regelmäßige Überstunden, ungeplante und spontane Arbeitseinsätze und unzureichende Erholung der Pflegenden.
Konfrontation mit Krankheit und Tod
In der Notfallmedizin und auf Intensivstationen ist das Pflegepersonal mitunter mit Schwerverletzten oder lebensbedrohlich Erkrankten aller Altersklassen konfrontiert. Dabei ist oft schnelles und sicheres Handeln gefragt, die Beteiligten stehen unter großem Druck.
Auf onkologischen Stationen und in der Palliativpflege begleiten die Pflegenden Betroffene und ihre Angehörigen durch schwere Lebensphasen, erleben Angst, Hoffnung, Trauer und Tod aus nächster Nähe.
Schwierige Patienten oder Angehörige
Forderndes Auftreten, Aggressivität und Gewalt gegenüber dem Personal sind zunehmende Probleme, die häufig durch die psychische Ausnahmesituation der Patienten und ihrer Angehörigen gefördert werden. Hiervon sind Pflegende durch ihren engen Kontakt mit den Patienten besonders betroffen.
Weitere Belastungen
Zusätzliche Belastungen im Berufsalltag entstehen, wenn das Arbeitsklima schädlich ist, hohe Hürden in der Kommunikation bestehen und die Pflegenden mit ihren eigenen Sorgen und Bedürfnissen nicht wahrgenommen werden.
Pflegefachkraft Stellenangebote
Psychische Betreuung – Das können Arbeitgeber tun
Die psychische Betreuung von Mitarbeitenden im Gesundheitswesen umfasst eine Reihe von Maßnahmen, die vielfach mit einfachen Mitteln vom Arbeitgeber umgesetzt werden können. Sie betreffen die Strukturierung der Arbeitseinsätze, Fortbildungen und individuelle Angebote an die Pflegenden.
Klare Strukturen
Vor allem bei Personalknappheit und vielfältigen Aufgaben sollten Arbeitgeber darauf achten, dass jeder Mitarbeiter seinen Einsatzbereich und seine Zuständigkeiten genau kennt und sich darauf fokussieren kann. Die Dokumentation sollte strukturiert, nachvollziehbar und so kompakt wie möglich gestaltet werden.
Kommt es an einzelnen Tagen zu einer absehbar erhöhten Arbeitsbelastung oder gibt es Phasen, in denen weniger Personal benötigt wird, so sollte dies bei der Dienstplanerstellung berücksichtigt werden, um Arbeitsspitzen abzufangen und den Mitarbeitern hinreichend Zeit zur Erholung zu bieten.
Gesundheitsmanagement
Persönliches Gesundheitsmanagement umfasst Maßnahmen, die jeder Mensch für die Erhaltung seiner eigenen Gesundheit ergreifen sollte. Hierzu gehören eine gesunde Ernährung, regelmäßige sportliche Betätigung und Bewegung, Strategien zur Stressbewältigung und für einen erholsamen Schlaf, Psychohygiene und Vorsorgeuntersuchungen.
Arbeitgeber können dafür sorgen, dass die Mitarbeiter ihre Pausenzeiten einhalten und die Kantine im Betrieb frische und ausgewogene Kost bereitstellt. Betriebsinterne Kurse oder Veranstaltungen zu Themen wie Entspannung und der Stärkung der Resilienz lassen sich sehr gut um finanzielle Beteiligung an Fitnessstudio-Verträgen oder Yogakursen ergänzen. Natürlich ist darauf zu achten, dass die Pflegenden auch genug Freizeit haben, um die Angebote wahrnehmen zu können.
Regelmäßige Gespräche zur Arbeitszufriedenheit, Untersuchungsangebote seitens des Betriebsarztes und die Betonung von Hygienemaßnahmen und Arbeitsschutz geben dem Personal das Gefühl, dass ihre Gesundheit und ihr Wohlergehen wichtig sind.
Schulungen
Betriebsinterne Schulungen betreffen beispielsweise den Einsatz von technischen Hilfsmitteln zur Erleichterung der Arbeit sowie Seminare zu Themen wie Stressbewältigung, Resilienz-Stärkung und Achtsamkeit.
Darüber hinaus hat sich der gemeinnützige Verein PSU-Akut e.V. auf die psychosoziale Unterstützung von Pflegenden im Kontext einer Pflegeeinrichtung spezialisiert. Er bietet Schulungen an, in denen die Teilnehmenden im Sinne einer berufspädagogischen Fortbildung den Umgang mit psychosozialen Belastungen in ihrem Beruf erlernen. So sollen sie im Anschluss als kollegiale Unterstützer (Peers) auf ihrer Arbeitsstelle fungieren können. Indem sie weitere Mitarbeiter unterweisen, bauen sie ein solides, lokales Hilfenetz auf, das die Besonderheiten des individuellen Berufsumfeldes berücksichtigt.
Gespräche anbieten
Vor allem bei Akutereignissen oder schambesetzten Situationen ist es wichtig, dass die Pflegenden unmittelbar einen Ansprechpartner haben, dem sie ihre Erfahrungen im Vertrauen schildern können. Diese Person sollte Sicherheit ausstrahlen und die Nöte der Betroffenen ernst nehmen. Es empfiehlt sich, eine oder mehrere Personen mit entsprechender Eignung als feste Ansprechpartner zu benennen. Im Idealfall handelt es sich dabei um einen Peer, der mit Maßnahmen zur psychologischen Betreuung geschult ist.
Bei der Akuthotline PSU-HELPLINE des PSU-Akut e.V. erhalten Pflegende im anonymen Kontakt telefonische Hilfe und Beratung bei belastenden Situationen und können bei Bedarf an eine Therapiestelle vermittelt werden. Die Zentrum ÜBERLEBEN gGmbH, eine weitere gemeinnützige Organisation, bietet unter Pflegen-und-leben.de Hilfe für pflegende Angehörigen und Familien an.
Zusammenarbeit mit Therapeuten
Eine Vernetzung mit einem Therapeuten ist eine gute Möglichkeit, schnell Hilfe von außen zu erhalten, wenn es zu Belastungen der Pflegenden kommt. Dabei kann der zuständige Arbeitsmediziner als Bindeglied zwischen Pflegeeinrichtung und Therapeut die Betreuung der Betroffenen koordinieren.
- Vanhaecht, K., Seys, D., Russotto, S., Strametz, R., Mira, J., Sigurgeirsdóttir, S., . . . (ERNST), E. R. (2022). An Evidence and Consensus-Based Definition of Second Victim: A Strategic Topic in Healthcare Quality, Patient Safety, Person-Centeredness and Human Resource Management. In: International Journal of Environmental Research and Public Health (MDPI-Verlag, Ausgabe 24/2022).
- European Researchers’ Network Working on Second Victims (ERNST), https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/... (Abrufdatum: 04.06.2025)