Morgens komme ich in den Dienst. Ich bin allein im Frühdienst und verschaffe mir zunächst einen Überblick: Was ist über Nacht passiert? Welche Aufgaben stehen heute an? Dann wecke ich die Kinder und Jugendlichen, helfe beim Fertigmachen, erinnere an Frühstück, Turnbeutel, Zahnbürste – all die kleinen Dinge, die den Start in den Tag erleichtern. Nach und nach verabschiede ich die Kinder in die Schule.
Kaum ist es etwas ruhiger, klingelt das Telefon. Das Jugendamt fragt an, ob wir kurzfristig ein Mädchen aufnehmen können, das nicht mehr nach Hause möchte – es wurde dort offenbar misshandelt. Ich prüfe unsere aktuelle Belegung und treffe die Entscheidung: Ja, sie kann kommen. Also beginne ich mit den Vorbereitungen – richte ein Zimmer her, hole frische Bettwäsche und etwas zu essen, damit sie in Ruhe ankommen kann.
Weniger als eine Stunde später steht das Jugendamt mit dem Mädchen vor der Tür. Wir führen ein erstes Gespräch – was ist passiert, was ist jetzt wichtig, welche nächsten Schritte braucht es? Danach zeige ich ihr das Haus und ihr Zimmer und erkläre die wichtigsten Regeln. In der Kleiderkammer suchen wir gemeinsam passende Kleidung – sie hat nur einen kleinen Rucksack dabei.
Im Anschluss dokumentiere ich alles sorgfältig für meine Kolleg:innen. In der Inobhutnahme arbeiten wir ohne Bezugsbetreuung – jede:r ist für alle Kinder zuständig. Damit das funktioniert, muss jede Entscheidung und jeder Schritt nachvollziehbar dokumentiert sein. Die Aufgaben, die im Laufe des Tages anfallen, teilen wir untereinander auf.
Wenig später ruft eine Schule an: Einer unserer Jungs – Leon – hatte einen Konflikt mit einem Mitschüler und kann heute nicht bleiben. Ich hole ihn ab und spreche zuhause in Ruhe mit ihm über das, was passiert ist. Wir reden darüber, was ihn gerade beschäftigt und wie wir gemeinsam Lösungen finden können.
Beim Mittagessen stelle ich das neue Mädchen den anderen Kindern und Jugendlichen vor. Die Gruppe reagiert offen und verständnisvoll – in der Inobhutnahme ist es für viele Alltag, dass neue Gesichter dazukommen oder andere wieder gehen.
Am Nachmittag steht ein Gespräch mit einem Kind und dem Jugendamt an. Dabei geht es vor allem um Perspektiven: Ist eine Rückkehr in die Herkunftsfamilie möglich? Oder braucht das Kind einen sicheren Platz in einer regulären Wohngruppe? Diese Gespräche sind oft emotional, aber entscheidend für die nächsten Schritte.
Am Ende des Tages mache ich Feierabend. Die Aufgaben in der Inobhutnahme sind vielfältig und oft unvorhersehbar – ich bin hier nicht nur Pädagog:in, sondern auch eine Art Krisenmanager:in. Ich begleite Kinder und Jugendliche in sehr besonderen Momenten ihres Lebens und hole sie dort ab, wo sie gerade stehen. Morgen bin ich wieder da – dann mit Nachtbereitschaft.