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Blutverluste durch Verletzungen stellen eine ernsthafte Bedrohung für den menschlichen Organismus dar. Der Körper verfügt daher über ein ausgeklügeltes System zur schnellen und effektiven Blutstillung: die Hämostase. Innerhalb dieses Systems nimmt die Blutgerinnung eine Schlüsselrolle ein. Sie sichert den Übergang des Blutes vom flüssigen in einen festen Zustand und bildet gemeinsam mit der Zellkomponente der Hämostase (den Thrombozyten) den strukturellen Verschluss der Wunde. Was genau man unter der Blutgerinnung versteht, wie sie abläuft und warum sie klinisch so relevant ist, beleuchtet dieser Artikel.
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Blutgerinnung – Definition
Die Blutgerinnung ist ein komplexer, enzymatisch gesteuerter Prozess, der im Rahmen der Hämostase zur Bildung eines stabilen Fibrinnetzes führt. Dieser Vorgang beinhaltet die Aktivierung inaktiver Gerinnungsfaktoren im Blutplasma durch eine Kaskade von Reaktionen, an deren Ende lösliches Fibrinogen in unlösliches Fibrin umgewandelt wird. Das so gebildete Fibrinnetz stabilisiert den primären Thrombozytenpfropf und sorgt für die dauerhafte Abdichtung der Gefäßverletzung.
Während der Begriff Hämostase alle Vorgänge, die zur Blutstillung nach einer Gefäßverletzung führen, umfasst, handelt es sich bei der Blutgerinnung lediglich um die letzte Phase der Hämostase. Deshalb nennt man die Blutgerinnung auch sekundäre Hämostase.
Blutgerinnung – Grundlagen
Die Blutgerinnung ist ein fein regulierter Prozess, der auf der stufenweisen Aktivierung von Gerinnungsfaktoren beruht. Diese Faktoren liegen zunächst als inaktive Vorstufen (Zymogene) im Blutplasma vor und werden durch enzymatische Spaltung aktiviert. Der gesamte Vorgang ist als Gerinnungskaskade bekannt und wird durch Feedbackmechanismen kontrolliert.
Gerinnungsfaktoren
Die Gerinnungsfaktoren sind größtenteils Proteine, die in der Leber synthetisiert werden. Viele von ihnen benötigen Vitamin K zur posttranslationalen Modifikation. Die Faktoren sind durch römische Ziffern (I–XIII) benannt, wobei ein nachgestelltes “a” die aktivierte Form kennzeichnet. Eine Übersicht:
- Faktor I: Fibrinogen
- Faktor II: Prothrombin
- Faktor III: Tissue Factor
- Faktor IV: Calciumionen
- Faktor V und VIII: Cofaktoren
- Faktoren VII, IX, X, XI, XII: Serinproteasen
- Faktor XIII: Transglutaminase zur Fibrinvernetzung
Diese Faktoren interagieren mit Zellmembranen, Calciumionen und Phospholipiden und verstärken sich gegenseitig, was eine räumliche und zeitliche Kontrolle der Gerinnungsprozesse erlaubt.
Blutgerinnung – Gerinnungskaskade
Die Blutgerinnung erfolgt über eine koordinierte Abfolge von Reaktionen, die Gerinnungskaskade. Dabei aktivieren bestimmte Gerinnungsfaktoren nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip ihre jeweiligen Folgemoleküle. Diese Kaskade lässt sich in drei Abschnitte unterteilen: extrinsischer, intrinsischer Weg und gemeinsame Endstrecke.
Extrinsischer Weg
Der extrinsische Weg wird bei Gewebeverletzung aktiviert. Der Tissue Factor (Faktor III), der im subendothelialen Gewebe vorkommt, bindet an Faktor VII. Der entstehende Komplex (TF-VIIa) aktiviert in Gegenwart von Calcium (Faktor IV) den Faktor X. Dieser Weg dient als schneller Auslöser der Gerinnung und führt rasch zur Bildung kleiner Thrombinmengen.
Intrinsische Weg
Der intrinsische Weg ist eine plasmatische Reaktionskaskade, die durch Kontaktaktivierung an negativ geladenen Oberflächen, wie freigelegtem Kollagen, initiiert wird. Er beginnt mit der Aktivierung von Faktor XII, gefolgt von XI und IX. In Zusammenarbeit mit dem Cofaktor VIIIa bildet Faktor IXa anschließend den sogenannten Tenase-Komplex, der Faktor X aktiviert.
Gemeinsame Endstrecke
Beide Wege führen zur Aktivierung von Faktor X. Dieser bildet mit Faktor Va die Prothrombinase, die Prothrombin (Faktor II) in Thrombin (Faktor IIa) spaltet. Thrombin ist das zentrale Enzym der Gerinnung: Es spaltet Fibrinogen zu Fibrinmonomeren und aktiviert Faktor XIII, der diese zu einem stabilen Fibrinnetz verknüpft. Zusätzlich verstärkt Thrombin durch Rückkopplung die eigene Produktion.
Blutgerinnung – Zellbasiertes Modell
Das moderne, zellbasierte Modell der Blutgerinnung berücksichtigt die Rolle der Zelloberflächen und teilt die Gerinnung in drei Phasen ein:
- Initiation: An verletzten Endothelien aktiviert der Tissue-Factor-Komplex geringe Mengen Thrombin. Dies reicht für eine erste Fibrinbildung nicht aus, dient aber der Vorbereitung.
- Amplifikation: Thrombin aktiviert auf der Oberfläche von Thrombozyten die Faktoren V, VIII und XI sowie die Thrombozyten selbst. Dadurch wird eine große Menge an Gerinnungsfaktoren lokal konzentriert.
- Propagation: Die massive Bildung von Thrombin („Thrombinburst“) erfolgt nun durch die intrinsische Tenase und die Prothrombinase auf aktivierten Thrombozyten. Es entsteht ein dichtes Fibrinnetz.
Dieses Modell erklärt die Physiologie genauer als das klassische Modell und betont die Rolle zellulärer Strukturen bei der Regulation der Gerinnung.
Blutgerinnung – Regulation
Damit die Blutgerinnung kontrolliert abläuft und sich nicht unkontrolliert im Gefäßsystem fortsetzt, verfügt der Organismus über mehrere Regulationsmechanismen. Diese verhindern eine überschießende Gerinnungsreaktion und minimieren das Risiko für Thrombosen.
Antithrombin
Antithrombin ist ein plasmatischer Inhibitor, der hauptsächlich Thrombin und Faktor Xa inaktiviert. Es gehört zur Familie der Serinprotease-Inhibitoren (Serpine) und wird vorwiegend in der Leber synthetisiert. Die Wirkung von Antithrombin wird durch Heparin um ein Vielfaches verstärkt, da Heparin eine Konformationsänderung von Antithrombin induziert, die dessen Affinität zu den Zielproteasen erhöht.
Protein-C/S-System
Ein weiterer wichtiger Regelkreis ist das Protein-C-System. Thrombin aktiviert an der Endothelzelloberfläche über den Cofaktor Thrombomodulin das Protein C. Aktiviertes Protein C (APC) inaktiviert gemeinsam mit Protein S als Cofaktor die aktivierten Faktoren Va und VIIIa. Dadurch wird der positive Feedbackmechanismus der Gerinnung unterbrochen und die Thrombinbildung begrenzt.
Weitere Inhibitoren
Zusätzlich existieren weitere Inhibitoren wie der Tissue Factor Pathway Inhibitor (TFPI), der spezifisch den TF-Faktor-VIIa-Komplex blockiert und somit die extrinsische Aktivierungskaskade hemmt. Auch α2-Makroglobulin fungiert als unspezifischer Proteaseinhibitor und trägt zur Begrenzung proteolytischer Aktivität bei.
Blutgerinnung – Gerinnungsstörungen
Erkrankungen der Hämostase lassen sich grob in zwei Gruppen unterteilen: solche mit erhöhter Blutungsneigung (hämorrhagische Diathesen) und solche mit gesteigerter Gerinnungsneigung (thromboembolische Diathesen).
Hämophilie
Die Hämophilie ist eine angeborene Koagulopathie, bei der es zu einem Mangel oder einer Funktionsstörung bestimmter Gerinnungsfaktoren kommt. Die häufigsten Formen sind die Hämophilie A (Faktor VIII-Mangel) und die Hämophilie B (Faktor IX-Mangel, auch Christmas-Krankheit genannt). Beide Erkrankungen sind X-chromosomal-rezessiv vererbt und treten daher fast ausschließlich bei Männern auf. Klinisch äußert sich die Hämophilie in spontanen Gelenk- und Muskelblutungen sowie verstärkter Blutungsneigung nach Verletzungen oder Operationen.
Faktor-V-Leiden-Mutation
Bei dieser häufigen genetischen Variante handelt es sich um eine Punktmutation im Gen für Faktor V, die zu einer Resistenz gegenüber der proteolytischen Inaktivierung durch aktiviertes Protein C führt. Diese sogenannte APC-Resistenz erhöht das Risiko für venöse Thromboembolien, insbesondere bei zusätzlichen Risikofaktoren wie oralen Kontrazeptiva oder Immobilisation.
Weitere Störungen
Weitere relevante Gerinnungsstörungen sind beispielsweise das Antiphospholipid-Syndrom (APS), bei dem Autoantikörper gegen Phospholipid-Protein-Komplexe eine gesteigerte Gerinnungsneigung verursachen, sowie erworbene Mangelzustände bei Leberinsuffizienz oder Vitamin-K-Mangel.
Blutgerinnung – Diagnostische Tests
Zur Beurteilung der sekundären Hämostase stehen verschiedene labormedizinische Tests zur Verfügung. Sie erlauben Aussagen über Funktion und Aktivität der Gerinnungsfaktoren und sind essenziell bei der Diagnostik von Blutungsneigungen oder zur Therapieüberwachung.
INR/Quick-Wert
Der Quick-Wert misst die Aktivität des extrinsischen Systems und korreliert mit dem international normierten INR-Wert (International Normalized Ratio). Diese Parameter sind vor allem zur Kontrolle der Therapie mit Vitamin-K-Antagonisten bedeutsam. Ein erniedrigter Quick-Wert beziehungsweise erhöhter INR spricht für eine verlängerte Blutgerinnungszeit.
aPTT (aktivierte partielle Thromboplastinzeit)
Die aPTT beurteilt das intrinsische System der Gerinnung und ist verlängert bei Mangel oder Hemmung der Faktoren VIII, IX, XI oder XII. Auch bei Therapie mit unfraktioniertem Heparin ist sie verlängert. Eine normale aPTT schließt eine Hämophilie nicht sicher aus, da milde Formen unentdeckt bleiben können.
Thrombinzeit (TZ)
Die Thrombinzeit misst die finale Phase der Gerinnung: die Umwandlung von Fibrinogen in Fibrin durch Thrombin. Sie ist empfindlich gegenüber Thrombininhibitoren (zum Beispiel Dabigatran), Fibrinogenmangel oder -dysfunktion. Eine verlängerte TZ weist auf eine Störung im Endschritt der Gerinnungskaskade hin.
Weitere Tests
Zusätzlich stehen spezialisierte Tests wie die Bestimmung einzelner Gerinnungsfaktoren, Fibrinogenkonzentration, D-Dimere oder globale Gerinnungstests (beispielsweise Thromboelastometrie) zur Verfügung. Diese kommen vor allem in der Intensivmedizin oder bei komplexen Gerinnungsstörungen zur Anwendung.
Blutgerinnung – Medikamentöse Gerinnungshemmung
Die therapeutische Antikoagulation ist zentral in der Prävention und Behandlung thromboembolischer Erkrankungen. Je nach Wirkmechanismus unterscheidet man verschiedene Klassen von Gerinnungshemmern.
Heparine
Heparin und seine Derivate (niedermolekulares Heparin, NMH) wirken durch Bindung und Aktivierung von Antithrombin. Unfraktioniertes Heparin (UFH) hemmt sowohl Thrombin als auch Faktor Xa, während NMH selektiver auf Faktor Xa wirkt. Heparine werden meist parenteral verabreicht und zeichnen sich durch einen raschen Wirkungseintritt aus. Eine potenzielle Nebenwirkung ist die heparininduzierte Thrombozytopenie (HIT), die lebensbedrohlich verlaufen kann.
Vitamin-K-Antagonisten
Diese Substanzklasse, zu der Warfarin und Phenprocoumon gehören, hemmt die Vitamin-K-Epoxid-Reduktase und somit die γ-Carboxylierung der Gerinnungsfaktoren II, VII, IX und X. Dadurch entsteht eine funktionelle Inaktivierung dieser Faktoren. Vitamin-K-Antagonisten haben einen langsamen Wirkungseintritt, weshalb sie initial oft mit Heparin kombiniert werden.
Direkte orale Antikoagulation (DOAKS)
DOAKs wie Rivaroxaban, Apixaban (beide Faktor-Xa-Inhibitoren) oder Dabigatran (Thrombininhibitor) ermöglichen eine orale Antikoagulation mit raschem Wirkungseintritt und stabiler Pharmakokinetik. Sie benötigen im Gegensatz zu Cumarinen in der Regel keine routinemäßige Laborkontrolle. Dennoch ist bei Niereninsuffizienz oder in der Notfallmedizin Vorsicht geboten.
- Blutstillung und Blutgerinnung, https://next.amboss.com/... (Abrufdatum: 06.05.2025)